
Zur Morphologie des Spalts
Die Erde öffnet sich in Wyoming. Wie es anfing, hat niemand mitbekommen, innerhalb weniger Wochen hat der Spalt eine Breite von fünfzig Metern erreicht und ist an die fünfhundert Meter lang. Es wird davor gewarnt, sich ihm zu nähern.
An der Küste des australischen Bundesstaats Queensland reißt die Erde mehrere Meter auf, Teile eines Campingplatzes stürzen in den Ozean.
Nach einem Erdbeben zieht sich ein Spalt durch die mittelitalienischen Marken. Er durchtrennt den Monte Vettore in der Horizontalen und erreicht eine Tiefe von bis zu fünfzig Zentimetern bei über zehn Kilometern Länge.
Der Spalt gähnt und der Spalt klafft.
Auch auf den Philippinen wurde ein Spalt gesichtet. Ein Spalt durch Nordamerika, ein Spalt in Guatemala, auf den Philippinen, in Australien, Myanmar, ein Spalt durch Italiens Mitte. Das vulkanische Island ist von Spalten durchfurcht, und zwar immer schon, es gehört zu seiner Grundausstattung, Spalten sind sein Baustoff, aber dieser eine Spalt, der sich neuerdings in der italienischen Provinz Marken aufgetan hat: der beunruhigt die Bevölkerung sehr.
Ein Spalt im Vorgarten meiner Eltern.
Ein Spalt in der Haut auf meiner Fingerkuppe. Durch ihn dringen Krankheitserreger ein, der Rand entzündet sich, wird chronisch, er kann sich nicht schließen.
Durch die Haut in den Körper, der darunter sitzt. Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf? Haut, Öffnung und Körper, das ist alles eins.
Wenn der Spalt sich nicht schließt und stattdessen immer weiter aufreißt, verlängert sich der Riss über den ganzen Körper, klafft auf, bis die Haut zu beiden Seiten abfällt, und heraus steigt einer, wie man ihn noch nicht gesehen hat.
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